leseproben
Bild: Dorfgasse in Quitzöbel, 1981-Manfred Pietsch - Foto: Jürgen Schneider Ankunft   Grün die Einflugschneise zum Schwalbenbriefkasten für die pfeilschnelle Nachricht.    Der Storch vom ochsenblutfarbigen  Haus klappert Steine aus dem Weg  Er hebt den letzten Eiszapfen aus den Angeln und entriegelt einem Bienenschwarm die farbige Tür.  Der Storch auf roten Stelzen mit seiner Flugantenne langweilt sich nicht auf seinem fünften Rad.  Immer ruft ihn  das weitherzige Grün und das Aquarell  des nahen Sees.  2018
Stilleben  Sind wir mehr als ein Fisch  wenn wir schweigen?  Sind wir zu oft  in die Stille geflohn, in die Sprachlosigkeit?  Wieviel Schuld, wieviel Nichtschuld, wenn wir Frieden suchten  im Schweigen?  Mit dem Herbstwind  rücken die Zweifel  leere Stühle der verlassene Tisch  stellt unsere Fragen.  aus Flugfeld für Träume, 1984 Bild: „Stilleben mit Fisch und Kristallschale, 1957 Wilhelm Lachnit - aus Flugfeld für Träume Kubistischer Akt  Eine ungewöhnlich  aufstrebende Festung ist von einem Mädchen am Morgen geblieben. Aber wo leuchtet ihr Herz?  aus Das entfesselte Auge, 1988 Bild: Bildhauer mit einem Fischglas und kauerndem Modell, 1933, Pablo Picasso  aus Das entfesselte Auge Sonntag  Die leise uns zugeraunte Fermate der Hoffnung, wenn frühmorgens  die eiserne Lilie an einer Wolke erblüht.  Noch schlafen die Liebenden, noch schläft Notre-Dame im stillen Winkel des Sonntags.       Der Maler will die Augen der Palette heute ruhen lassen, doch der Geruch der Farben stört ihn auf. Er spürt, wie die Leinwand sich spannt, sich nach einem Bild sehnt.  In der Umarmung zählen wir die Narben des Abschieds noch nicht.  Über dem Strauß  blühender Farben, durch Stirn und Auge, hat sich das ferne Witebsk bis in die Seele gewagt.  aus Fermate der Hoffnung, 2018   Воскресенье  Тихо нам прошептана фермата надежды, когда утром распускается у облака железная лилия.  Пока дремлят любящие, пока дремлет Notre-Dame в тихом уголке воскресенья.  Сегодня художник хочет дать отдохнуть глазам палитры, но запах красок возбуждает его. Он чувствует, как натягивается холст, по картине тоскуя.  В объятии мы еще не считаем шрамы расставания.  Над букетом  горящих красок, сквозь лоб и глаза, далекий Витебск проник в самую душу.  Nachdichtung-Irina und York Freitag Bild: Dimanche, 1954. Marc Chagall aus Fermate der Hoffnung Leben  Leben unbegreifbar. Gottes ausgestreckte  Hand wie der Schlaf. Nicht mit Linien scharf  umreißen das Rätsel Traum.  Zerschnitten würden alle Bilder und ihr Geheimnis,  das allein von Dauer ist.  Immer träumt man allein. Jeder Traum hat ein Rätsel zwischen den Lippen, wo der Atem das Ich und das Ich vermischt und die Zunge  den Fingerzweig  Gottes vermutet.  Aus Hungrig von Träumen, 1990  Bild: Moses empfängt die Gesetztestafeln, 1956, Marc Chagall - aus Hungrig von Träumen
Flaschenpost ohne rückschein trieb sie im wind mit briefen in eine spurlose auszeit welche chance hatte sie über die gelben postalischen hürden zu springen mit papiertrockenen augen du hast sie dem weltoffenen meer anvertraut buchstabenatem im zugekorkten raum fest eingerollt gewichtet für den gezeitenstrom. wenig luft blieb ihr weit aus dem fenster gelehnte träume ohne einschreiben, ohne pass und visum, überlassen einem freund gläsernes denkmal einem ganzen meer zu füßen gelegt hütet das blaue postamt noch immer deinen nachlass
Todesstreifen Keine Sprinkleranlage ging an, wenn es brannte im lichtlosen Fleisch unterm Tarnanzug. So verkehrsberuhigt war es nirgendswo. Der Stille hier stand jeder im Weg.
Im Fadenkreuz der Mensch Sprengung     der    Versöhnungskirche     in Berlin, Bernauer Str. 4, Januar 1985 I Gott für eine klare Sichtschneise aus der Schusslinie gesprengt. Sein Haus hat den Boden unter den Füßen verloren. Versöhnung in die Luft geflogen. Ich sehe den Turm, wie hingerichtet, sein stürzendes Haupt. Hier haben bis zuletzt die Glocken ausgeharrt, sie konnten keinen Alarm mehr schlagen. II Weitsicht für die Zielfernrohre, groß genug geworden. Entzug von Hoffnung, Abrisstag für alle, die hier wohnen. Fortan kein Stundenschlag, kein Schatten mehr des Turmes. Es kann sich keiner an das Kreuz mehr ketten. III Zündschnurzeit, wenn eine Hand den Knopf berührt. Kein Gras kann drüber wachsen. Kein Tod mit ungestörter Durchschlafzeit, im Stein das Auferstehungszeichen einer angehaltenen Stunde,
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Bild: Dorfgasse in Quitzöbel, 1981-Manfred Pietsch Foto: Jürgen Schneider
Manfred Pietsch-Ulrich Grasnick
Ankunft Grün die Einflugschneise zum Schwalbenbriefkasten für die pfeilschnelle Nachricht. Der Storch vom ochsenblutfarbigen Haus klappert Steine aus dem Weg Er hebt den letzten Eiszapfen aus den Angeln und entriegelt einem Bienenschwarm die farbige Tür. Der Storch auf roten Stelzen mit seiner Flugantenne langweilt sich nicht auf seinem fünften Rad. Immer ruft ihn das weitherzige Grün und das Aquarell des nahen Sees. 2018
Ulrich Grasnick-Leseprobe-Gedicht
Bild: Foto Reiner Müller
Verse sind Verse sind Stockwerke, es genügen zwei oder drei für ein Haus Manchmal eines Gedankens erste Etage genügt, darin zu wohnen. Niemand schreibt dir vor die Größe von Fenstern und Türen, du kannst leben in beliebiger Gegend. Du kannst beginnen einen einfachen Satz ohne Baugenehmigung, Sondergenehmigung und ohne Fragebogen. Einfacher Baugrund Papier, für jeden erschwinglich, für jeden nutzbar. Für Fehlkonstruktionen genügt ein Papierkorb, und ein neues Blatt schon wieder Beginn.
Stilleben Sind wir mehr als ein Fisch wenn wir schweigen? Sind wir zu oft in die Stille geflohn, in die Sprachlosigkeit? Wieviel Schuld, wieviel Nichtschuld, wenn wir Frieden suchten im Schweigen? Mit dem Herbstwind rücken die Zweifel leere Stühle der verlassene Tisch stellt unsere Fragen. aus Flugfeld für Träume , 1984
Wilhelm Lachnit-Ulrich Grasnick
Bild:   „Stilleben   mit   Fisch   und   Kristallschale, 1957 Wilhelm Lachnit - aus Flugfeld für Träume
Gang nach Emmanus Wie ohne Zweifel kommen, da wir Brücken stürzen sahen, über die wir eben gingen? Im Schatten unsres Argwohns schleppten wir die dunklen Zeiten noch einmal auf unsren Rücken, trotz der Tränen, die uns brannten, und der Schreie, die noch gellen. aus Pastorale , 1981
Schmidt-Rottluff-Emmaus-Grasnick
Bild: Gang nach Emmaus, 1918, Hans Schmidt-Rottluff - aus Pastorale
Kubistischer Akt Eine ungewöhnlich aufstrebende Festung ist von einem Mädchen am Morgen geblieben. Aber wo leuchtet ihr Herz? aus Das entfesselte Auge , 1988
Pablo Picasso-Ulrich Grasnick
Bild: Bildhauer mit einem Fischglas und kauerndem Modell, 1933, Pablo Picasso aus Das entfesselte Aug e
Sonntag Die leise uns zugeraunte Fermate der Hoffnung, wenn frühmorgens die eiserne Lilie an einer Wolke erblüht. Noch schlafen die Liebenden, noch schläft Notre-Dame im stillen Winkel des Sonntags. Der Maler will die Augen der Palette heute ruhen lassen, doch der Geruch der Farben stört ihn auf. Er spürt, wie die Leinwand sich spannt, sich nach einem Bild sehnt. In der Umarmung zählen wir die Narben des Abschieds noch nicht. Über dem Strauß blühender Farben, durch Stirn und Auge, hat sich das ferne Witebsk bis in die Seele gewagt. aus Fermate der Hoffnung , 2018
Marc Chagall-Ulrich Grasnick
Воскресенье Тихо нам прошептана фермата надежды, когда утром распускается у облака железная лилия. Пока дремлят любящие, пока дремлет Notre-Dame в тихом уголке воскресенья. Сегодня художник хочет дать отдохнуть глазам палитры, но запах красок возбуждает его. Он чувствует, как натягивается холст, по картине тоскуя. В объятии мы еще не считаем шрамы расставания. Над букетом горящих красок, сквозь лоб и глаза, далекий Витебск проник в самую душу. Nachdichtung-Irina und York Freitag
Bild: Dimanche, 1954. Marc Chagall aus Fermate der Hoffnung
Ulrich Grasnick-Marc Chagall
Leben Leben unbegreifbar. Gottes ausgestreckte Hand wie der Schlaf. Nicht mit Linien scharf umreißen das Rätsel Traum. Zerschnitten würden alle Bilder und ihr Geheimnis, das allein von Dauer ist. Immer träumt man allein. Jeder Traum hat ein Rätsel zwischen den Lippen, wo der Atem das Ich und das Ich vermischt und die Zunge den Fingerzweig Gottes vermutet. Aus Hungrig von Träumen , 1990
Bild:   Moses   empfängt   die   Gesetztestafeln, 1956, Marc Chagall - aus Hungrig von Träumen